Trade Finance und Digitalisierung
Daten, Innovationen und Digitalisierung prägen die Zukunft des weltweiten Handels
Regulatorik spielt eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Innovationen im Trade Finance. Sie ist aber bei Weitem nicht der einzige Treiber für Veränderungen. Jörg Motel, Global Head of Product Management Trade, und Alexander Pawellek, Principal Product Owner, Trade Finance Digitalisation & Strategy, sprechen über technologische Entwicklungen, die die Grundlagen für die Zukunft des weltweiten Handels schaffen.
Geopolitische Krisen und die daraus resultierenden Verwerfungen in den internationalen Handelsbeziehungen machen die ohnehin schon anspruchsvollen Herausforderungen der digitalen Transformation und der Innovationen im Welthandel noch komplexer. Exporteure wie Importeure konzentrieren sich jetzt erst einmal darauf, die Stabilität und Funktionalität ihrer Lieferketten aufrechtzuerhalten.
Mehr denn je wünschen sie sich, die stark papierbasierte Abwicklung des Welthandels zu digitalisieren. Doch diese Umstellung wird nicht einfach sein. Das Ziel eines digitalen Handels ist nur zu erreichen, wenn alle Beteiligten der gesamten Lieferkette eng zusammenarbeiten: Regierungen und Hafenbehörden, Logistikunternehmen, Importeure und Exporteure sowie Branchenverbände und Finanzinstitute.
Banken müssen sich um das Tagesgeschäft ihrer Kunden kümmern und gleichzeitig prüfen, wo ein Mehrwert in der Abwicklung geschaffen werden kann. Dazu benötigen sie einen ausgewogenen Ansatz. Dabei kommt eine ganze Reihe von Faktoren ins Spiel.
Regulatorik treibt Innovationen voran: Dokumentenprüfung und Meldepflichten
Regulatorik beeinflusst die Richtung digitaler Innovationen maßgeblich. Ein Beispiel: Unternehmen stellen fest, dass die Dokumentenprüfung heute viel mehr Zeit und Ressourcen verschlingt als früher – nicht zuletzt wegen der in den vergangenen Jahren gestiegenen Compliance-Anforderungen an die Banken. Viele räumen daher der Digitalisierung dieses Prozessschritts oberste Priorität ein.
Das absehbare Ausscheiden von Fachkräften stellt die Branche vor zusätzliche Herausforderungen. Die Generation, die noch von der Pike auf gelernt hat, wie man große Mengen von Handelsdokumenten in Papierform manuell bearbeitet, geht bald in Rente und hinterlässt eine Lücke, die die Optimierung der überkommenen Compliance-Prozesse noch dringlicher macht.
Deshalb investieren Banken verstärkt in die automatisierte Bearbeitung papierhafter Dokumente, insbesondere in den Bereichen optische Zeichenerkennung (OCR), maschinelles Lernen und KI zur Prüfung von Dokumenten. Diese Innovationen verkürzen den Zeitaufwand für die Überprüfung erheblich. In der gewonnenen Zeit können die Mitarbeiter für Aufgaben mit höherer Wertschöpfung eingesetzt werden. Die Commerzbank beispielsweise nutzt solche Technologien bereits für Compliance-Prüfungen und plant, sie künftig auch bei der Überprüfung von Exportdokumenten einzusetzen.
Auch die Erfüllung der ESG-Berichtspflichten braucht Innovationen
Das wachsende regulatorische Umfeld – beispielsweise künftige ESG-Meldeanforderungen – bringt viele Unternehmen dazu, neu über Technologie und Innovationen nachzudenken.
So schreibt das Anfang 2023 in Deutschland in Kraft getretene Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz vor, dass Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten die Sozial- und Umweltstandards nicht nur in ihren eigenen Unternehmen, sondern auch in ihren Lieferketten überwachen müssen. Die Schwelle für Unternehmen, die das Gesetz einhalten müssen, sinkt 2024 auf 1.000 Beschäftigte. Das schließt dann einen großen Teil des deutschen Mittelstands ein. Ähnliche Gesetzgebungsinitiativen werden auch von der EU erwartet.
Angesichts des zunehmenden Kostendrucks und der Risiken eines Verstoßes – es drohen empfindliche Geldstrafen und dramatische Reputationsschäden – können es sich Unternehmen kaum leisten, die geforderten Sorgfaltsprüfungen manuell durchzuführen. Gefragt sind auch hier neue Lösungen, um effizienter und mit genaueren Ergebnissen zu arbeiten.
Plattformen mit offener Architektur: Banken optimieren den Datenzugang für alle
Mit innovativen Technologien können Finanzinstitute und Unternehmen den Compliance-Prozess verschlanken: Sie identifizieren automatisch relevante Daten und verwenden sie zur Erfüllung der regulatorischen Anforderungen. Programmierschnittstellen (APIs) z. B. erleichtern diesen Datenaustausch, indem sie eine Kommunikation zwischen sicheren Anwendungen, Teilnehmern und Plattformen ermöglichen. So kann eine API beispielsweise eine Auflistung von Lieferanten aus den internen Systemen eines Unternehmens abrufen und an einen unabhängigen Anbieter von ESG-Ratings schicken, der wiederum die Einhaltung ethischer Standards in der Lieferkette prüft.
Unternehmen erwarten heute von ihren Banken, dass sie Daten integrieren und ihnen den Zugang zu Informationen erleichtern. So könnte eine Bank z. B. als Vermittler bei einem Anbieter von ESG-Ratings auftreten – oder sogar selbst den CO2-Fußabdruck im Auftrag ihres Kunden berechnen. Dazu bräuchte sie nur auf die Transaktions- und Versanddaten zuzugreifen. Dann könnte sie das gleiche Netzwerk nutzen, um ihre Firmenkunden mit einem Anbieter von CO2-Zertifikaten zu verbinden.
Für die Finanzinstitute ergibt sich so die Möglichkeit, ihre Kundenbeziehungen zu stärken und sich weit über den reinen Finanzdienstleistungsbereich hinaus als Partner und Problemlöser zu positionieren. Zusätzlichen Mehrwert schaffen sie, wenn sie umfangreiche Informationen auf einer Plattform bereitstellen, auf die ihre Kunden sicher zugreifen können – um die Daten unter anderem im internen Berichtswesen oder bei der Erfüllung regulatorischer Vorgaben einzusetzen.
Das ganze Potenzial von Daten kann nur durch Data Analytics erschlossen werden. Wir in der Commerzbank haben massiv in Big Data und Data Analytics investiert. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse teilen wir gerne mit unseren Kunden. So haben wir beispielsweise Unternehmen mit unseren Daten dabei geholfen, Risiken in ihren Lieferketten aufzudecken, alternative Handelskorridore zu finden und die Diversifizierung ihrer Lieferanten voranzutreiben – alles unschätzbar wertvoll angesichts des Kriegs in der Ukraine, der sich weiterhin massiv auf den weltweiten Handel auswirkt.
Banken können Interessenvertreter ihrer Firmenkunden sein
Finanzinstitute setzen sich außerdem für ihre Kunden ein, wenn sie bei ihrer Mitarbeit unter anderem in Branchenarbeitsgruppen das regulatorische Umfeld und die damit verbundenen digitalen Lösungen „kundenfreundlich“ mitgestalten.
Die Mitwirkung der Commerzbank in den Arbeitsgruppen der Internationalen Handelskammer (ICC) hat gezeigt, dass diese Form der Zusammenarbeit zu positiven Veränderungen führt. Wir unterstützen die Bemühungen der ICC, die digitale Regulatorik international zu standardisieren und dabei die besonderen Gegebenheiten einzelner Regionen zu berücksichtigen. Durch ihre Teilnahme an solchen Initiativen fördern Finanzinstitute die Marktakzeptanz neuer Technologien. Sie unterstützen deren reibungslose flächendeckende Einführung – zum Nutzen von Unternehmen und allen weiteren Beteiligten am weltweiten Handel.
Das langfristige Potenzial von Big Data, den weltweiten Handel neu zu gestalten, ist faszinierend. Doch dabei wird oft unterschätzt, was dieser Wandel in der Praxis tatsächlich bedeutet. Um positive Effekte nicht zu gefährden, heißt die Devise der Commerzbank „Groß denken, klein umsetzen“. Bei diesem Ansatz geht es darum, Bereiche zu identifizieren, in denen Kunden am einfachsten und effektivsten von Mehrwerten profitieren. Neue Konzepte werden gemeinsam mit wichtigen „Early Adopters“ vorangetrieben, also mit innovationsaffinen Kunden, die über die notwendigen Ressourcen zur Verfolgung solcher Projekte verfügen. Der natürliche nächste Schritt könnte, je nach gewähltem Ansatz, darin bestehen, einen weiteren Akteur in die Kette einzubinden, beispielsweise ein Logistikunternehmen. Wir konzentrieren uns bei diesem Ansatz auf unsere Kernmärkte, und zwar insbesondere auf diejenigen, deren Rechtsrahmen den Einsatz digitaler Handelsdokumente erleichtert.
Ökosysteme für den weltweiten Handel: Analytics nutzen und ein globales Netzwerk aufbauen
Digitale Innovationen nutzen Daten über die gesamte Lieferkette hinweg. Sie ebnen den Weg für effizientere und gestraffte Prozesse im weltweiten Handel. Gemeinsam mit externen Plattformen, Technologieanbietern und Firmenkunden treiben Finanzinstitute die Entwicklung dieser digitalen Ökosysteme voran. Ihr Ziel: ein einfacherer Datenaustausch zwischen allen Beteiligten im weltweiten Handel.
Ein Instrument, um solche Ökosysteme aufzubauen, könnte die Distributed-Ledger-Technology (DLT) sein. Die offene Struktur von Blockchain und DLT bedeutet, dass Zahlungen und andere Prozesse vollständig automatisiert werden können. Darüber hinaus ist es mithilfe von Sensoren, die mit dem Internet der Dinge (IoT) verbunden sind, möglich, Finanztransaktionen mit dem zugrunde liegenden physischen Warenaustausch zu verbinden. Anstelle eines manuellen Prozesses, an dem mehrere Abteilungen beteiligt sind, gleichen Sensoren automatisch die gelieferten mit den erwarteten Datenpunkten ab und lösen bei Übereinstimmung eine Transaktion aus.
Vor Kurzem haben T-Systems, eine Tochter der Deutschen Telekom, und die Commerzbank ein gemeinsames Projekt gestartet. Im Mittelpunkt stehen dabei IoT-Sensoren und DLT sowie eine smarte Vertragstechnologie, alles unterfüttert mit Finanz- und Technologie-Know-how. Ziel ist es, durch die ereignisbasierte Automatisierung von Zahlungsströmen entlang von Lieferketten manuelle Abrechnungsprozesse signifikant zu reduzieren und die Grundlage für weitere vernetzte Finanzservices zu bilden. Die Produktinnovationen werden zusammen mit Firmenkunden entwickelt, um an den echten Schwachstellen bestehender Verfahren anzusetzen.
Der Schlüssel zum Erfolg liegt darin, die richtigen Parteien miteinander zu verbinden, um schnell spürbare Effizienzsteigerungen zu erzielen. Wenn wir das richtig hinbekommen, wird es uns allen helfen, ein wirklich digitales Handelsökosystem für die Zukunft aufzubauen.